Kapelle der Vitos-Klinik

  Sonntag, 18. 8. 2013

„Auch kleine Dinge können uns entzücken“

Das italienische Liederbuch
von
Hugo Wolf

Es musizieren:

Kira Petry — Sopran
Michael Brauer — Tenor
Johannes Becker — Klavier

 


Auch kleine Dinge können uns entzücken,
Auch kleine Dinge können teuer sein.
Bedenkt, wie gern wir uns mit Perlen schmücken;
Sie werden schwer bezahlt und sind nur klein.
Bedenkt, wie klein ist die Olivenfrucht,
Und wird um ihre Güte doch gesucht.
Denkt an die Rose nur, wie klein sie ist,
Und duftet doch so lieblich, wie ihr wißt.

Mir ward gesagt, du reisest in die Ferne.
Ach, wohin gehst du, mein geliebtes Leben?
Den Tag, an dem du scheidest, wüßt’ ich gerne;
Mit Tränen will ich das Geleit dir geben.
Mit Tränen will ich deinen Weg befeuchten -
Gedenk an mich, und Hoffnung wird mir leuchten!
Mit Tränen bin ich bei dir allerwärts -
Gedenk an mich, vergiß es nicht, mein Herz!

Ihr seid die Allerschönste weit und breit,
Viel schöner als im Mai der Blumenflor.
Orvietos Dom steigt so voll Herrlichkeit,
Viterbos größter Brunnen nicht empor.
So hoher Reiz und Zauber ist dein eigen,
Der Dom von Siena muß sich vor dir neigen.
Ach, du bist so an Reiz und Anmut reich,
Der Dom von Siena selbst ist dir nicht gleich.

Gesegnet sei, durch den die Welt entstund;
Wie trefflich schuf er sie nach allen Seiten!
Er schuf das Meer mit endlos tiefem Grund,
Er schuf die Schiffe, die hinübergleiten,
Er schuf das Paradies mit ew’gem Licht,
Er schuf die Schönheit und dein Angesicht.

Selig ihr Blinden, die ihr nicht zu schauen
Vermögt die Reize, die uns Glut entfachen;
Selig ihr Tauben, die ihr ohne Grauen
Die Klagen der Verliebten könnt verlachen;
Selig ihr Stummen, die ihr nicht den Frauen
Könnt eure Herzensnot verständlich machen;
Selig ihr Toten, die man hat begraben!
Ihr sollt vor Liebesqualen Ruhe haben.

Wer rief dich denn? Wer hat dich herbestellt?
Wer hieß dich kommen, wenn es dir zur Last?
Geh zu dem Liebchen, das dir mehr gefällt,
Geh dahin, wo du die Gedanken hast.
Geh nur, wohin dein Sinnen steht und Denken!
Daß du zu mir kommst, will ich gern dir schenken.
Geh zu dem Liebchen, das dir mehr gefällt!
Wer rief dich denn? Wer hat dich herbestellt?

Der Mond hat eine schwere Klag’ erhoben
Und vor dem Herrn die Sache kund gemacht;
Er wolle nicht mehr stehn am Himmel droben,
Du habest ihn um seinen Glanz gebracht.
Als er zuletzt das Sternenheer gezählt,
Da hab es an der vollen Zahl gefehlt;
Zwei von den schönsten habest du entwendet:
Die beiden Augen dort, die mich verblendet.

Nun laß uns Frieden schließen, liebstes Leben,
Zu lang ist’s schon, daß wir in Fehde liegen.
Wenn du nicht willst, will ich mich dir ergeben;
Wie könnten wir uns auf den Tod bekriegen?
Es schließen Frieden Könige und Fürsten,
Und sollen Liebende nicht darnach dürsten?
Es schließen Frieden Fürsten und Soldaten,
Und sollt’ es zwei Verliebten wohl mißraten?
Meinst du, daß, was so großen Herrn gelingt,
Ein Paar zufriedner Herzen nicht vollbringt?

Daß doch gemalt all’ deine Reize wären,
Und dann der Heidenfürst das Bildnis fände.
Er würde dir ein groß Geschenk verehren,
Und legte seine Kron’ in deine Hände.
Zum rechten Glauben müßt’ sich bekehren
Sein ganzes Reich, bis an sein fernstes Ende.
Im ganzen Lande würd’ es ausgeschrieben,
Christ soll ein jeder werden und dich lieben.
Ein jeder Heide flugs bekehrte sich
Und würd’ ein guter Christ und liebte dich.

Du denkst mit einem Fädchen mich zu fangen,
Mit einem Blick schon mich verliebt zu machen?
Ich fing schon Andre, die sich höher schwangen;
Du darfst mir ja nicht trau’n, siehst du mich lachen.
Schon Andre fing ich, glaub’ es sicherlich.
Ich bin verliebt, doch eben nicht in dich.

Wie lange schon war immer mein Verlangen:
Ach wäre doch ein Musikus mir gut!
Nun ließ der Herr mich meinen Wunsch erlangen
Und schickt mir einen, ganz wie Milch und Blut.
Da kommt er eben her mit sanfter Miene,
Und senkt den Kopf und spielt die Violine.

Nein, junger Herr, so treibt man’s nicht, fürwahr;
Man sorgt dafür, sich schicklich zu betragen.
Für Alltags bin ich gut genug, nicht wahr?
Doch Beßre suchst du dir an Feiertagen.
Nein, junger Herr, wirst du so weiter sünd’gen,
Wird dir den Dienst dein Alltagsliebchen künd’gen.

Hoffärtig seid Ihr, schönes Kind, und geht
Mit Euren Freiern um auf stolzem Fuß.
Spricht man Euch an, kaum daß Ihr Rede steht,
Als kostet Euch zuviel ein holder Gruß.
Bist keines Alexanders Töchterlein,
Kein Königreich wird deine Mitgift sein,
Und willst du nicht das Gold, so nimm das Zinn;
Willst du nicht Liebe, nimm Verachtung hin.


Geselle, woll’n wir uns in Kutten hüllen,
Die Welt dem lassen, den sie mag ergötzen?
Dann pochen wir an Tür um Tür im Stillen:
„Gebt einem armen Mönch um Jesu willen.“
„O lieber Pater, du mußt später kommen,
Wenn aus dem Ofen wir das Brot genommen.
O lieber Pater, komm nur später wieder,
Ein Töchterlein von mir liegt krank danieder.“
„Und ist sie krank, so laßt mich zu ihr gehen,
Daß sie nicht etwa sterbe unversehen.
Und ist sie krank, so laß mich nach ihr schauen,
Daß sie mir ihre Beichte mag vertrauen.
Schließt Tür und Fenster, daß uns keiner störe,
Wenn ich des armen Kindes Beichte höre!“

Mein Liebster ist so klein, daß ohne Bücken
Er mir das Zimmer fegt mit seinen Locken.
Als er ins Gärtlein ging, Jasmin zu pflücken,
Ist er vor einer Schnecke sehr erschrocken.
Dann setzt’ er sich ins Haus um zu verschnaufen,
Da warf ihn eine Fliege übern Haufen;
Und als er hintrat an mein Fensterlein,
Stieß eine Bremse ihm den Schädel ein.
Verwünscht sei’n alle Fliegen, Schnaken, Bremsen
Und wer ein Schätzchen hat aus den Maremmen!
Verwünscht sei’n alle Fliegen, Schnaken, Mücken
Und wer sich, wenn er küßt, so tief muß bücken!

Ihr jungen Leute, die ihr zieht ins Feld,
Auf meinen Liebsten sollt ihr Achtung geben.
Sorgt, daß er tapfer sich im Feuer hält;
Er war noch nie im Kriege all sein Leben.
Laßt nie ihn unter freiem Himmel schlafen;
Er ist so zart, es möchte sich bestrafen.
Laßt mir ihn ja nicht schlafen unterm Mond;
Er ginge drauf, er ist’s ja nicht gewohnt.


Und willst du deinen Liebsten sterben sehen,
So trage nicht dein Haar gelockt, du Holde.
Laß von den Schultern frei sie niederwehen;
Wie Fäden sehn sie aus von purem Golde.
Wie goldne Fäden, die der Wind bewegt -
  Schön sind die Haare, schön ist, die sie trägt!
Goldfäden, Seidenfäden ungezählt -
  Schön sind die Haare, schön ist, die sie strählt!

Heb’ auf dein blondes Haupt und schlafe nicht,
Und laß dich ja von Schlummer nicht betören.
Ich sage dir vier Worte von Gewicht,
Von denen darfst du keines überhören.
Das erste: daß um dich mein Herze bricht,
Das zweite: dir nur will ich angehören,
Das dritte: daß ich dir mein Heil befehle,
Das letzte: dich allein liebt meine Seele.

Wir haben beide lange Zeit geschwiegen,
Auf einmal kam uns nun die Sprache wieder.
Die Engel, die herab vom Himmel fliegen,
Sie brachten nach dem Krieg den Frieden wieder.
Die Engel Gottes sind herabgeflogen,
Mit ihnen ist der Frieden eingezogen.
Die Liebesengel kamen über Nacht
Und haben Frieden meiner Brust gebracht.

Mein Liebster singt am Haus im Mondenscheine,
Und ich muß lauschend hier im Bette liegen.
Weg von der Mutter wend’ ich mich und weine,
Blut sind die Tränen, die mir nicht versiegen.
Den breiten Strom am Bett hab ich geweint,
Weiß nicht vor Tränen, ob der Morgen scheint.
Den breiten Strom am Bett weint’ ich vor Sehnen;
Blind haben mich gemacht die blut’gen Tränen.

Man sagt mir, deine Mutter woll es nicht;
So bleibe weg, mein Schatz, tu ihr den Willen.
Ach Liebster, nein! tu ihr den Willen nicht,
Besuch mich doch, tu’s ihr zum Trotz, im stillen!
Nein, mein Geliebter, folg ihr nimmermehr,
Tu’s ihr zum Trotz, komm öfter als bisher!
Nein, höre nicht auf sie, was sie auch sage;
Tu’s ihr zum Trotz, mein Lieb, komm alle Tage!

Ein Ständchen Euch zu bringen kam ich her,
Wenn es dem Herrn vom Haus nicht ungelegen.
Ihr habt ein schönes Töchterlein. Es wär
Wohl gut, sie nicht zu streng im Haus zu hegen.
Und liegt sie schon im Bett, so bitt ich sehr,
Tut es zu wissen ihr von meinetwegen,
Daß ihr Getreuer hier vorbeigekommen,
Der Tag und Nacht sie in den Sinn genommen,
Und daß am Tag, der vierundzwanzig zählt,
Sie fünfundzwanzig Stunden lang mir fehlt.

 --- Pause ---

Was für ein Lied soll dir gesungen werden,
Das deiner würdig sei? Wo find ich’s nur?
Am liebsten grüb’ ich es tief aus der Erden,
Gesungen noch von keiner Kreatur.
Ein Lied, das weder Mann noch Weib bis heute
Hört’ oder sang, selbst nicht die ält’sten Leute.

Ich esse nun mein Brot nicht trocken mehr,
Ein Dorn ist mir im Fuße stecken blieben.
Umsonst nach rechts und links blick’ ich umher,
Und Keinen find’ ich, der mich möchte lieben.
Wenn’s doch auch nur ein altes Männlein wäre,
Das mir erzeigt’ ein wenig Lieb’ und Ehre.
  Ich meine nämlich, so ein wohlgestalter,
Ehrbarer Greis, etwa von meinem Alter.
  Ich meine, um mich ganz zu offenbaren,
Ein altes Männlein so von vierzehn Jahren.

Mein Liebster hat zu Tische mich geladen
Und hatte doch kein Haus mich zu empfangen,
Nicht Holz noch Herd zum Kochen und zum Braten,
Der Hafen auch war längst entzwei gegangen.
An einem Fäßchen Wein gebrach es auch,
Und Gläser hat er gar nicht im Gebrauch;
Der Tisch war schmal, das Tafeltuch nicht besser,
Das Brot steinhart und völlig stumpf das Messer.

Ich ließ mir sagen und mir ward erzählt,
Der schöne Toni hungre sich zu Tode;
Seit ihn so überaus die Liebe quält,
Nimmt er auf einen Backzahn sieben Brote.
Nach Tisch, damit er die Verdauung stählt
Verspeist er eine Wurst und sieben Brote,
Und lindert nicht Tonina seine Pein,
Bricht nächstens Hungersnot und Teurung ein.

Schon streckt’ ich aus im Bett die müden Glieder,
Da tritt dein Bildnis vor mich hin, du Traute.
Gleich spring ich auf, fahr’ in die Schuhe wieder
Und wandre durch die Stadt mit meiner Laute.
Ich sing’ und spiele, daß die Straße schallt;
So manche lauscht - vorüber bin ich bald.
So manches Mädchen hat mein Lied gerührt,
Indes der Wind schon Sang und Klang entführt.

Du sagst mir, daß ich keine Fürstin sei;
Auch du bist nicht auf Spaniens Thron entsprossen.
Nein, Bester, stehst du auf bei Hahnenschrei,
Fährst du aufs Feld und nicht in Staatskarossen.
Du spottest mein um meine Niedrigkeit,
Doch Armut tut dem Adel nichts zu Leid.
Du spottest, daß mir Krone fehlt und Wappen,
Und fährst doch selber nur mit Schusters Rappen.

Wohl kenn’ ich Euren Stand, der nicht gering.
Ihr brauchtet nicht so tief herabzusteigen,
Zu lieben solch ein arm und niedrig Ding,
Da sich vor Euch die Allerschönsten neigen.
Die schönsten Männer leicht besiegtet Ihr,
Drum weiß ich wohl, Ihr treibt nur Spiel mit mir.
Ihr spottet mein, man hat mich warnen wollen,
Doch ach, Ihr seid so schön! Wer kann Euch grollen?

Laß sie nur gehn, die so die Stolze spielt,
Das Wunderkräutlein aus dem Blumenfeld.
Man sieht, wohin ihr blankes Auge zielt,
Da Tag um Tag ein andrer ihr gefällt.
Sie treibt es grade wie Toscanas Fluß,
Dem jedes Berggewässer folgen muß.
Sie treibt es wie der Arno, will mir scheinen:
Bald hat sie viel Bewerber, bald nicht einen.

Was soll der Zorn, mein Schatz, der dich erhitzt?
Ich bin mir keiner Sünde ja bewußt,
Ach, lieber nimm ein Messer wohlgespitzt
Und tritt zu mir, durchbohre mir die Brust.
Und taugt ein Messer nicht, so nimm ein Schwert,
Daß meines Blutes Quell gen Himmel fährt.
Und taugt ein Schwert nicht, nimm des Dolches Stahl
Und wasch in meinem Blut all meine Qual.

Sterb’ ich, so hüllt in Blumen meine Glieder;
Ich wünsche nicht, daß ihr ein Grab mir grabt.
Genüber jenen Mauern legt mich nieder,
Wo ihr so manchmal mich gesehen habt.
Dort legt mich hin, in Regen oder Wind;
Gern sterb ich, ist’s um dich, geliebtes Kind.
Dort legt mich hin in Sonnenschein und Regen;
Ich sterbe lieblich, sterb’ ich deinetwegen.

Und steht Ihr früh am Morgen auf vom Bette,
Scheucht Ihr vom Himmel alle Wolken fort,
Die Sonne lockt Ihr auf die Berge dort,

Und Engelein erscheinen um die Wette
Und bringen Schuh und Kleider Euch sofort.
Dann, wenn Ihr ausgeht in die heil’ge Mette,
So zieht Ihr alle Menschen mit Euch fort,
Und wenn Ihr naht der benedeiten Stätte,
So zündet Euer Blick die Lampen an.
Weihwasser nehmt Ihr, macht des Kreuzes Zeichen
Und netzet Eure weiße Stirn sodann
Und neiget Euch und beugt die Knie ingleichen -
O wie holdselig steht Euch alles an!
Wie hold und selig hat Euch Gott begabt,
Die Ihr der Schönheit Kron empfangen habt!
Wie hold und selig wandelt Ihr im Leben;
Der Schönheit Palme ward an Euch gegeben.

Benedeit die sel’ge Mutter,
Die so lieblich dich geboren,
So an Schönheit auserkoren,
Meine Sehnsucht fliegt dir zu!

Du so lieblich von Gebärden,
Du die Holdeste der Erden,
Du mein Kleinod, meine Wonne,
Süße, benedeit bist du!

Wenn ich aus der Ferne schmachte
Und betrachte deine Schöne,
Siehe wie ich beb und stöhne,
Daß ich kaum es bergen kann!

Und in meiner Brust gewaltsam
Fühl ich Flammen sich empören,
Die den Frieden mir zerstören,
Ach, der Wahnsinn faßt mich an!

Wenn du, mein Liebster, steigst zum Himmel auf,
Trag’ ich mein Herz dir in der Hand entgegen.
So liebevoll umarmst du mich darauf,
Dann woll’n wir uns dem Herrn zu Füßen legen.

Und sieht der Herrgott unsre Liebesschmerzen,
Macht er Ein Herz aus zwei verliebten Herzen,
Zu Einem Herzen fügt er zwei zusammen,
Im Paradies, umglänzt von Himmelsflammen.

Wie viele Zeit verlor ich, dich zu lieben!
Hätt ich doch Gott geliebt in all der Zeit.
Ein Platz im Paradies wär mir verschrieben,
Ein Heilger säße dann an meiner Seit.
Und weil ich dich geliebt, schön frisch Gesicht,
Verscherzt ich mir des Paradieses Licht,
Und weil ich dich geliebt, schön Veigelein,
Komm ich nun nicht ins Paradies hinein.

Wenn du mich mit den Augen streifst und lachst,
Sie senkst, und neigst das Kinn zum Busen dann,
Bitt’ ich, daß du mir erst ein Zeichen machst,
Damit ich doch mein Herz auch bänd’gen kann,
Daß ich mein Herz mag bänd’gen, zahm und still,
Wenn es vor großer Liebe springen will,
Daß ich mein Herz mag halten in der Brust,
Wenn es ausbrechen will vor großer Lust.

Gesegnet sei das Grün und wer es trägt!
Ein grünes Kleid will ich mir machen lassen.
Ein grünes Kleid trägt auch die Frühlingsaue,
Grün kleidet sich der Liebling meiner Augen.
In Grün sich kleiden ist der Jäger Brauch,
Ein grünes Kleid trägt mein Geliebter auch;
Das Grün steht allen Dingen lieblich an,
Aus Grün wächst jede schöne Frucht heran.

O wär dein Haus durchsichtig wie ein Glas,
Mein Holder, wenn ich mich vorüberstehle!
Dann säh’ ich drinnen dich ohn Unterlaß,
Wie blickt’ ich dann nach dir mit ganzer Seele!
Wie viele Blicke schickte dir mein Herz,
Mehr als da Tropfen hat der Fluß im März!
Wie viele Blicke schickt’ ich dir entgegen,
Mehr als da Tropfen niedersprühn im Regen!

Heut Nacht erhob ich mich um Mitternacht,
Da war mein Herz mir heimlich fortgeschlichen.
Ich frug: Herz, wohin stürmst du so mit Macht?
Es sprach: Nur Euch zu sehn, sei es entwichen.
Nun sieh, wie muß es um mein Lieben stehn:
Mein Herz entweicht der Brust, um dich zu sehn!

O wüßtest du, wie viel ich deinetwegen,
Du falsche Renegatin, litt zur Nacht,
Indes du im verschloßnen Haus gelegen
Und ich die Zeit im Freien zugebracht.
Als Rosenwasser diente mir der Regen,
Der Blitz hat Liebesbotschaft mir gebracht;
Ich habe Würfel mit dem Sturm gespielt,
Als unter deinem Dach ich Wache hielt.
Mein Bett war unter deinem Dach bereitet,
Der Himmel lag als Decke drauf gebreitet,
Die Schwelle deiner Tür, das war mein Kissen -
Ich Ärmster, ach, was hab ich ausstehn müssen!

Ich hab in Penna einen Liebsten wohnen,
In der Maremmeneb’ne einen andern,
Einen im schönen Hafen von Ancona,
Zum vierten muß ich nach Viterbo wandern;
Ein andrer wohnt in Casentino dort,
Der nächste lebt mit mir am selben Ort,
Und wieder einen hab’ ich in Magione,
Vier in La Fratta, zehn in Castiglione.


Übersetzt von Paul Heyse (1830–1914) nach der Volkslied-Sammlung „Canti popolari toscani, corsi, illirici, greci, raccolti ed illustrati“ von Niccolò Tommaseo.

Komponiert von Hugo Wolf (1860–1903) in den Jahren 1890/91 und 1896.